NO PUEDES COMER TODO EL PASTEL EN 6 DIAS: Der Akt einer Ausstellung
Workshopseries #25
2014 / 2015 / Anja Dorn / Bless / Manuel Raeder
Ein Projekt der Fachbereiche Szenografie und Produktdesign unter der Betreuung von:
Anja Dorn (Szenografie), Manuel Räder (Extern) und BLESS (Produktdesign)
Produziert and kuratiert von:
Katharina Cameron, Marco Antonio Canseco, Viktor Díaz, Nele Faust, Fátima Díaz García, Lisa Ertel, Laura Juárez, Sophie Lichtenberg, Alfonso Morales, Lisa Nelhiebel, Marlene Oeken, Sonja Rogova, Sara Maria Rojas, Anja Ruschival, Bruno G. Salinas Vasquez, Carlo Siegfried, Ezequiel Ruiz Teran, Anne Tönsmann, Carlos Vasquez und Maxim Weirich
“No puedes comer todo el pastel en 6 días” war das Resultat einer Kooperation zwischen zehn Studierenden der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsuhe und neun Architekten, Designern und Künstlern aus Oaxaca, Mexiko, die gemeinsam an einem 10-tägigen Workshop im Centro das Artes San Augustin, CASA, in Etla, Oaxaca teilgenommen haben. Der Workshop wurde geleitet von dem Designer Manuel Raeder (Berlin, Mexiko D.F.), den Designern BLESS (Paris, Berlin) und der Kuratorin Anja Dorn (Köln). Ziel des Workshops war es, eine Ausstellung mit lokal produzierten Alltagsobjekten bzw. Objekten ohne Autor, zu realisieren. Es ging darum zu hinterfragen, wie die Geschichten dieser Objekte durch ein Ausstellungdisplay vermittelt und wie neue Lesarten ermöglicht werden können. Für die deutschen Studierenden haben zur Vorbereitung der Exkursion zwei Workshops in Karlsruhe und eine Exkursion zur aktuellen Ausstellung des Weltkulturen Museums Frankfurt stattgefunden. Vor dem Aufenthalt in Oaxaca bereisten sie vier Tage lang Mexiko City, wo sie unter anderem Museen und Institutionen wie das Anthropologische Museum, das El ECO, die Sala de Arte Publico Siqueiros, das Museum Anachuali, das UNAM Gelände, das Archivo de Diseño y Arquitectura und das Casa Barragán besucht haben. CASA machte es großzügiger Weise möglich, während des Workshops gemeinsam mit den mexikanischen Kursteilnehmern lokale Keramik-, Schmiede-, Steinguss- und Textilmeister und ihre Techniken kennenzulernen, aber auch Museen, Ausstellungen und lokale Märkte zu besuchen und zu diskutieren.
Die eintägige Ausstellung “No puedes comer todo el pastel en 6 días!”, fand am Samstag, den 6. Dezember von 15-17:30 in einer Baustelle im Garten von CASA statt. Die Workshop-Teilnehmer entschieden sich nicht für einen klassischen Ausstellungsraum, sondern für eine Ausstellung im Freien. Die Wahl des Ortes und der darin entwickelten Displays reflektierte einerseits die mexikanischen Architektur, wo Übergange vom Außen- zum Innenraum fließender sind, aber auch temporäre Displaysysteme, wie sie auf den lokalen Märkten zu finden sind.
Die Ausstellung, die in einem kollektiven Prozess entwickelt und unter der Leitung von Sophie Lichtenberg und Marlene Oeken umgesetzt wurde, war ein Experiment mit mobilen Displays und performativen Formen der Präsentation von Arbeitsprozessen, wie sie den Studierenden auch in den diversen Werkstattbesuchen begegnet sind. Während der Ausstellung konnte der Besucher einen Performance-Parcours absolvieren, an dessen Ende er mit Getränk und Essen ausgestattet zum Verweilen eingeladen wurde. Katharina Cameron schlug Plastikbecher in einer Tonschicht ein, mittels gewöhnlicher Tortilla-Pressen druckte Ezequiel Ruiz Teran Erinnerungskarten mit dem Titel der Ausstellung, Nele Faust faltete Papierkacheln um Schälchen für den angebotenen Salat und auf der pedalbetriebenen Maschine von Carlos Vasquez wurden Limettensaft und Kaffee produziert.
Im Fokus der Ausstellung stand das Spiel zwischen Objekt und Display. Die Steingussfliese, die Marlene Oeken, stellvertretend für die Gruppe produzieren konnte, war beispielsweise ein kunsthandwerklich produzierter Gegenstand, der gestapelt unter anderem als Sockel für Mescal Becher von Laura Juárez und eine Tonschale von Marco Antonio Canseco genutzt und als den Raum strukturierendes Element genutzt wurde. Ezequiel Ruiz Teran entwickelte aus einfachen Holzkisten vom Markt ein variables Display und Transportsystem, das hier als Objekt vorgestellt wurde. Aus Kacheln, Backsteine und Stahlgestänge wurden Raumstrukturen gebaut, die typische Motive aus der mexikanischen Architektur und temporären Displaysystemen von den Märkten wiederaufgriffen. Sie knüpften an die Beobachtung an, dass Display und Objekt hier oft den Platz wechseln, dass es sozusagen eine optische Bewegung gibt zwischen dem, was sich im Hintergrund und dem, was sich im Vordergrund befindet. Auch für die Arbeiten, die visuell und akustisch die im Verlauf der Exkursion und des Workshops gesammelten Eindrücke dokumentierte, spielte diese Überlegung eine Rolle, wie sich in der elektronischen Soundcollage von Viktor Díaz und den Bild- und Textobjekten von Lisa Ertel, Sonja Rogova und Maxim Weirich zeigte.
Die Frage, wie man sich einer fremden Kultur durch deren Gebrauchsgegenstände annähern kann, wie man sich dazu positionieren kann und welche Bedeutung diese Dinge innerhalb der eigenen Kultur haben könnten, spiegelte sich nicht nur im Ausstellungstitel “No puedes comer todo el pastel en 6 días”, sondern auch in mehreren Arbeiten. Fátima Díaz García beispielsweise kochte auf der Grundlage eines mündlichen Berichts von Anja Ruschival mit mexikanischen Küchengeräten Spätzle. Katharina Cameron beschäftigte sich mit dem Umgang mit Fehlern in den Produktionsprozessen der besuchten Handwerksbetriebe. Sara Maria Rojas präsentierte eine Tasche die aus traditionellen Palmmatten. Anne Tönsmann nahm mit Ton Abdrücke von Objekten und Strukturen. Ähnliche wie Alfonso Morales mit seiner Skulptur aus zerbrochenen Tonziegeln setzte sie sich mit den Spuren von Gegenständen auseinander, in denen die Objekte selbst nicht mehr vorhanden sind, bzw. die den Gegenstand nur noch repräsentieren. Carlo Siegfried hingegen sammelte in zwei Kühlschränken alle Gegenstände, die von den deutschen Exkursionsteilnehmern als Touristen und Mexikoreisende gekauft wurden. Den Kühlschrank als White Cube nutzend, in dem viele Exponate dem Blick entzogen wurden, reflektierte Carlo Siegfried nicht nur den kulturellen Zugriff der Beteiligten auf mexikanisches Kunsthandwerk und Alltagskultur, sondern stellte auch einen Bezug zu anthropologischen Expeditionen und Ankaufsreisen für europäische Museen her. Bruno G. Salinas Vasquez arbeitete zu einem Gegenstand, der eng mit seinem eigenen indigenen Hintergrund verbunden ist. In seiner Kultur wird jedem Neugeborenen ein Tier geschenkt, das ihn gleichzeitig repräsentiert und schützt – in seinem Fall ein Gürteltier. Nach dessen Ableben wurde seine Haut in eine Tasche für Mais verwandelt. Im Workshop fertigte Bruno G. Salinas Vasquez eine Tonskulptur des Gürteltiers, die gleichzeitig auch Schale sein kann – ein Objekt, das gleichzeitig Subjekt ist.
Für die großzügige Unterstützung des Projekts bedanken sich alle Projektteilnehmer und Leiter recht herzlich bei Francisco Toledo, Lourdes Báez, Alelí Hernández, Sara Lopez Ellitsgaard, César Espinoza und dem Centro des Artes San Augustín, der Gemeinde Etla, all den Kunsthandwerkern, Kuratoren und Freunden, die uns einen Einblick in ihr Schaffen in Oaxaca und Mexico City gaben, im speziellen auch Claudio Jerónimo López Cedillo und Javier García García die sehr intensiv mit den Studenten an einigen Ausstellungsstücken arbeiteten, Pedro und Luisa Lopez für das Vertrauen und das zur Verfügung stellen des Ausstellungsareals, die tolle Gastgeberin Nelly, sowie auch Peter Sloterdijk, Kathrin Schwalb, Volker Albus, Heike Schuppelius und Uwe Bodirsky der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, ohne deren Unterstützung das Projekt nicht hätte durchgeführt werden können.
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